Ja! Es sind bewegte Zeiten damals im auslaufenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert. In vielen Ländern des Kontinents wird der Ruf nach Reformierung der katholischen Kirche und der christlichen Religion laut. Neue Ideen verbreiten sich – vor allem über die altbewährten Handelswege – von der Ostsee bis ans Mittelmeer weiter.
Die Europäer machen sich auf, die Weltmeere zu erkunden. Die Osmanen schicken sich an, Mitteleuropa zu unterwerfen und stehen schon in der Mitte Ungarns. Als Folge dessen und auch wegen zahlreicher Bauernaufstände im Inneren, braucht das ungarische Königshaus enorme Geldmittel zur Kriegsfinanzierung. Königin Maria, oder einer ihrer Berater, entwickelt ein simples, aber effektives Geschäftsmodell: Privilegienverkauf. Der Weinbau erlebt zu dieser Zeit eine echte Blüte und selbst kleine Weinbauorte in Gunstlagen sind in der Lage, sich einen gewissen Wohlstand zu erarbeiten.
Der Handel mit Wein erfolgt mit Ochsen- oder Pferdefuhrwerken in Fässern. Wo immer es die jeweiligen Gebietsfürsten für nötig erachten, sind teils empfindliche Zölle und Abgaben zu entrichten.
Diese Landesherren unterstehen wiederum dem ungarischen Königshaus, das nun zu deren Missvergnügen beginnt, Steuern und Zölle direkt einzunehmen und somit die Regionalherrscher zu umgehen. So geschieht es, dass im Jahr 1524, also vor genau einem halben Jahrtausend, auch drei Gemeinden aus dem Gebiet des heutigen Nordburgenlandes der Monarchin große Summen Geldes entrichten und forthin ihre Fässer mit Brandzeichen als Zeichen für freie Warenlieferung vor allem nach Norden und Osten bis ins Baltikum versehen dürfen.
Im Falle von Rust war dies selbstredend ein Meilenstein. Aber eben nur ein einzelner in einer ganzen Reihe von Entwicklungsschritten mit dem Ziel mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu erlangen.
Denn schon ein paar Jahre davor hatten die Ruster sich das Marktrecht erkauft, ein ganzes Konvolut an kleinen Privilegien. Zugleich bezahlte die kleine Gemeinde auch für das Recht, sich befestigen zu dürfen. In Zeiten, da es jederzeit zu berittenen Raubüberfällen aus dem Osten kommen konnte, ein ganz erheblicher Fortschritt in Sachen Sicherheit und Selbstbehauptung gegenüber den regionalen Adeligen. Bis heute ist die historische Siedlungsform im flachen Osten Österreichs eine dicht gedrängte, um selbst ohne Wehrmauern zumindest mit Stadelmauer an Stadelmauer – mit Schießscharten versehen – ein Mindestmaß an Schutz zu bewirken. In Rust existieren diese Mauern fast zur Gänze immer noch! Auch die rasch um sich greifende Reformation und die lutherischen Ideen gingen mit diesen Bestrebungen einher.
Schon in den Jahrzehnten vor 1524 institutionalisierte die kleine verschworene Ruster Gemeinschaft von Bauern, Handwerkern und (Wein-)Händlern ein System von „Verehrweinen“ und „Verehrsummen“, um die eigenen Ansichten und Bedürfnisse zu befördern.
Das Einbrennen der Buchstaben CR in Weinfässer als Zeichen einer privilegierten Herkunft war das äußere Symbol für bereits Erreichtes der „Civitas Rustensis“ – also der Ruster Bürgerschaft. Das originale Brandeisen mit den Initialen „CR“ sowie die Originalurkunde vom 27. Juni 1524 sind übrigens bis heute erhalten geblieben.
Der Masterplan allerdings war die Unabhängigkeit von Grundherrschaft und Bischofswillkür. So kam es auch im Lauf der nächsten eineinhalb Jahrhunderte zu enormen, ja spektakulären Anstrengungen, die im Erhalt des Titels königlich-ungarische Freistadt am 3. Dezember 1681 gipfelten. Einer der Nebeneffekte war der Fortbestand des evangelischen Glaubens auch in Zeiten stetiger und blutiger Gegenreformation bis in die Zeit Maria-Theresias. Das Resultat dieser Entwicklungen und Ereignisse hält sich auch heute noch in Wirtschaft, Politik, Religion und Selbstverständnis von Rust.
Die Initiatoren des Privilegienhandels von 1524 konnten nur ganz kurz von ihrem Geschäftsmodell profitieren. Denn mit der desaströsen Niederlage des ungarischen Heeres gegen eine osmanische Übermacht im Jahre 1526 beim südungarischen Mohács erlosch das Herrschergeschlecht der Jagellonen in seiner ungarischen Linie. An deren Stelle trat dann ein gewisses Haus Habsburg in Form einer Doppelmonarchie bis 1918.
Das langgeschwungene Ruster „R“ ziert heute noch immer Korken, Etiketten, Prospekte und vieles mehr. Eine Handelsmarke seit 500 Jahren. Und der Ruster Ausbruch – der Stoff, der dies alles erst möglich machte – präsentiert sich gegenwärtig so lebendig, wie noch nie.